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BGH: Anforderungen an die Wareneingangsprüfung dürfen nicht überspannt werden!

29. Juli 2016

Mit aktuellem Urteil vom 24.02.2016 befasste sich der Bundesgerichtshof mit einem besonders einkäuferrelevanten Thema. Es ging um die für Sie als Einkäufer höchst „leidige“ Wareneingangsprüfung gemäß § 377 Handelsgesetzbuch.

Sofern Sie für Ihr Unternehmen bei einem anderen Unternehmen einkaufen, greift die Regelung des § 377 Absatz 1 Handelsgesetzbuch (HGB), wonach der Einkäufer die Ware unverzüglich nach Ablieferung, soweit dies nach ordnungsgemäßem Geschäftsgang tunlich ist, zu untersuchen hat. Sofern dabei Mängel oder Fehlmengen feststellt werden, sind diese unverzüglich dem Verkäufer anzuzeigen. Unterlässt Ihr Unternehmen die unverzügliche Untersuchung oder Rüge, gilt die Ware als genehmigt und Ihr Unternehmen verliert sämtliche Mängelansprüche.
Da das Gesetz über die Art und den Umfang der Untersuchung nichts aussagt, ist hier wieder einmal die Rechtsprechung gefragt. Insofern kommt dem Urteil des Bundesgerichtshofs besondere Bedeutung zu.

Sachverhalt

Ein Unternehmen (Lieferant) stellte für seinen Kunden (Käufer) 80 Walzenzapfen her. Die im Juni 2008 gelieferten Walzenzapfen baute der Käufer in Antriebs- und Spannwalzen ein, welche er wiederum an den Hersteller einer Trocknungsanlage für Klärschlamm in China lieferte. Im Dezember 2008 machte der Käufer erstmalig einen Mangel an den Walzenzapfen beim Lieferanten geltend. Dieser verweigerte jegliche Nacherfüllung mit der Begründung, der Käufer habe die Walzenzapfen bei Anlieferung nicht ausreichend geprüft. Landgericht und Oberlandesgericht gaben dem Lieferanten Recht. Der Mangel habe ohne aufwändige Materialuntersuchung durch einen Sachverständigen gefunden werden können. Eine Sichtprüfung habe insoweit nicht ausgereicht.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Doch die Karlsruher Richter befanden, das Oberlandesgericht habe wesentliche Aspekte zur Untersuchungsobliegenheit außer Acht gelassen und stellten folgende allgemeingültigen Grundsätze zum Umfang der Wareneingangsprüfung auf:

Entscheidend ist stets der Einzelfall!

Welche Anforderungen an die Art und Weise der Untersuchung zu stellen sind, lässt sich – so der Bundesgerichtshof – nicht allgemein sagen. Es sei vielmehr darauf abzustellen, welche Maßnahmen dem Käufer im konkreten Einzelfall zugemutet werden können. Dabei spielen nach Ansicht der Karlsruher Richter auch die Branchengepflogenheiten eine wichtige Rolle.

Die Interessen des Einkäufers und Verkäufers sind gegeneinander abzuwägen!

Auf Seite des Verkäufers sei im Rahmen einer Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass dieser möglichst davor geschützt werden soll, längere Zeit nach der Lieferung etwaigen, dann nur schwer feststellbaren Gewährleistungsansprüchen ausgesetzt zu sein.

Besonderes Interesse des Verkäufers bei Gefahr hoher Mangelfolgeschäden!

Das Interesse des Verkäufers an einer alsbaldigen Untersuchung durch den Käufer könne – so der Bundesgerichtshof – dann besonders groß sein, wenn er bei bestimmungsgemäßer Weiterverarbeitung der Kaufsache zu wertvollen Objekten mit hohen Mangelfolgeschäden rechnen muss und nur der Käufer das Ausmaß der drohenden Schäden übersehen kann.

Keine überspannten Anforderungen!

Andererseits dürfe der Verkäufer nicht durch überzogene Anforderungen an die Wareneingangsprüfung in die Lage versetzt werden, sich seiner Gewährleistungsverpflichtung zu entziehen.

Anhaltspunkte für die Grenzen der Zumutbarkeit bilden nach Ansicht des BGH vor allem:

• der für eine Überprüfung erforderliche Kosten- und Zeitaufwand

• die dem Käufer zur Verfügung stehenden technischen Prüfungsmöglichkeiten,

• das Erfordernis eigener technischer Kenntnisse für die Durchführung der Untersuchung beziehungsweise die Notwendigkeit, die Prüfung von Dritten vornehmen zu lassen.

Vorsicht bei bereits bekannten Schwachstellen!

Verschärfte Anforderungen an die Untersuchung bestehen insbesondere auch hinsichtlich Auffälligkeiten der gelieferten Ware oder früheren, nach wie vor als Verdacht fortwirkenden Mangelfällen. Dem Käufer aus früheren Lieferungen bekannte Schwachstellen der Ware müssen eher geprüft werden als das Vorliegen von Eigenschaften, die bislang nie gefehlt haben.

Vorinstanzen haben es sich zu leicht gemacht!

Der Bundesgerichtshof verwies die Sache mit der Begründung an das Oberlandesgericht zurück, dieses habe sich nicht ausreichend mit den Grenzen der Untersuchungs- und Rügeobliegenheit befasst.
Das Berufungsgericht habe beispielsweise das Vorbringen des Käufers, Mängel der Werkstücke seien erst nach deren Zerstörung (Bruch) im Rahmen einer aufwendigen Materialienprüfung durch einen Sachverständigen feststellbar gewesen für unbeachtlich gehalten. Dies sei jedoch für die Reichweite der Untersuchungsobliegenheit ein zu berücksichtigender und auch gewichtiger Gesichtspunkt.
Ferner habe das Oberlandesgericht im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung das Vorbringen des Käufers berücksichtigen müssen, dass der Mangel nicht schon bei Anlieferung, sondern erst bei Installation der Walzen in die Gesamtanlage erkannt werden konnte und dass es nur wenige externe Prüflabore gab, die eine Ultraschalluntersuchung durchführten, die zudem mit Kosten in Höhe von etwa 10 % des Materialwerts und einem erheblichen Zeitverlust verbunden sei.

Praxishinweis:

Insbesondere bei hohen Folgeschäden schüttelt der Lieferant, beziehungsweise die von ihm eingeschaltete Versicherung doch gerne mal den Joker der nicht ausreichenden Wareneingangsprüfung aus dem Ärmel. Das Urteil des Bundesgerichtshofs setzt dem Einsatz dieses Jokers immerhin ein paar Grenzen.

Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 24.02.2016 können Sie abrufen unter www.bundesgerichtshof.de unter Angabe des Aktenzeichens VIII ZR 38/15.