Ein- und Ausbaukosten – Ein Gesamtüberblick
Das Ende des „Fliesenfalls“: Der Käufer erhält von den ursprünglich eingeklagten Ein- und Ausbaukosten in Höhe von insgesamt 5.026 Euro lediglich 600 Euro ersetzt!
Der Kläger aus dem „Fliesenfall“ hat eine lange Wegstrecke zurückgelegt: Landgericht – Oberlandesgericht – Bundesgerichtshof – Europäischer Gerichtshof – und wieder zurück zum Bundesgerichtshof. Sein steiniger Weg war – jedenfalls in Euro gemessen – nicht von großem Erfolg gekrönt. Aber immerhin hat er der „Rechtswelt“ mehr Rechtssicherheit beschert, denn die Frage, ob der Verkäufer im Falle der Lieferung mangelhafter Materialien auch den Ausbau der mangelhaften und den Einbau der mangelfreien Materialien übernehmen muss bzw. die hierdurch entstandenen Kosten zu tragen hat war in den letzten Jahren ebenso brisant wie umstritten!
Hintergrund und Sachverhalt:
In einem sehr praxisrelevanten, wenig käuferfreundlichen, aber auch sehr umstrittenen Urteil vom 15.07.2008 (Az. VIII ZR 211/07) hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass der Verkäufer mangelhafter Parkettstäbe im Zuge der Nacherfüllung durch Ersatzlieferung nicht verpflichtet ist, den Einbau der als Ersatz gelieferten Partkettstäbe zu übernehmen. (siehe Beitrag in der Ausgabe Oktober 2008).
In dem nunmehr vom Bundesgerichtshof entschiedenen „Fliesenfall“ ging es um die Kosten für den Ausbau mangelhafter Fliesen einschließlich deren Entsorgung. Ein Bauherr hatte für 1.191,61 Euro netto polierte Bodenfliesen bei einem Händler gekauft. Nachdem zwei Drittel der Fliesen in seinem Haus verlegt waren, zeigten sich an der Oberfläche der Fliesen Schattierungen, die erst nach der Verlegung mit bloßem Auge zu erkennen waren. Da es sich hierbei um feine Mikroschleifspuren handelte, die nicht beseitigt werden konnten, war eine Mängelbeseitigung nur durch einen kompletten Austausch der Fliesen möglich. Der Käufer begehrte vom Fliesenlieferanten nun nicht nur die Lieferung neuer Fliesen, sondern auch die Kosten des Komplettaustauschs in Höhe von insgesamt 5.026,35 Euro netto. Auf die Klage des Käufers hin hatte das Landgericht diesem lediglich 273,10 Euro unter dem Gesichtspunkt der Minderung zuerkannt. Das Oberlandesgericht Frankfurt zeigte sich schon käuferfreundlicher als das Landgericht und gestand dem Käufer zwar nicht die Kosten des Einbaus, aber immerhin die Kosten für Ausbau und Entsorgung der mangelhaften Fliesen zu. Dies wiederum wollte der Fliesenlieferant nicht auf sich sitzen lassen und ging im Hinblick auf die dem Käufer zugestandenen Ausbau- und Entsorgungskosten in Revision.
Bundesgerichtshof sieht Verstoß gegen EU-Recht und legte den Fall dem Europäischen Gerichtshof vor!
Der Bundesgerichtshof teilte zwar die Ansicht des Fliesenlieferanten, dass sich aus dem BGB unmittelbar kein Anspruch des Käufers auf Erstattung der Ausbaukosten im Rahmen einer Ersatzlieferung ableiten lässt, sondern allenfalls ein entsprechender Schadensersatzanspruch bei Vorliegen eines Verschuldens von Seiten des Verkäufers. Allerdings hatte der Bundesgerichtshof Bedenken, dass es gegen die europäische Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 99/44/EG verstoßen könnte, wenn dem Käufer bei fehlendem Verschulden von Seiten des Verkäufers die Ausbaukosten nicht erstattet werden. Deshalb legte der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 14.01.2009 dem Europäischen Gerichtshof diese Frage zur Vorabentscheidung vor (siehe Beitrag in der Ausgabe September 2009).
Des weiteren vertrat der Bundesgerichtshof die Ansicht, dass sich der Baustoffhändler im vorliegenden Fall auf § 439 Absatz 3 Satz 3 BGB berufen kann, wonach der Verkäufer die Nacherfüllung insgesamt verweigern darf, wenn diese für ihn unverhältnismäßig hohe Kosten verursacht. Der Bundesgerichtshof sah im konkreten Fall die Unverhältnismäßigkeit gegeben, weil die Kosten der Nacherfüllung weit mehr als 150% des Werts der Sache im mangelfreien Zustand betrugen.(Kosten für die Lieferung mangelfreier Fliesen 1.200 Euro zzgl. Ausbaukosten von 2.100 Euro, also Kosten der Nacherfüllung 3.300 Euro gegenüber Wert der Fliesen entsprechend Einkaufpreis von brutto 1.418 Euro). Da der Bundesgerichtshof jedoch Bedenken hatte, dass die Regelung des § 439 Absatz 3 Satz 3 BGB ebenfalls gegen die EU-Richtlinien verstößt, legte er dem Europäischen Gerichtshof außerdem die Frage vor, ob eine nationale Vorschrift wie § 439 Abs. 3 Satz 3 BGB, die es dem Verkäufer einer mangelhaften Kaufsache erlaubt, die Nacherfüllung komplett zu verweigern, wenn sie ihm Kosten verursachen würde, die verglichen mit dem Wert der mangelfreien Sache und der Bedeutung des Mangels unverhältnismäßig wären, mit der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Einklang steht.
Der Europäische Gerichtshof entschied verbraucherfreundlich!
Einen solchen Verstoß bejahte der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 16.06.2011. Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshof ist der Verkäufer nach der europäische Verbrauchsgüterkaufrichtlinie im Falle der Lieferung eines mangelhaften Verbrauchsgutes verpflichtet, auch den Ausbau dieses Verbrauchsguts aus der Sache, in die es eingebaut wurde, vorzunehmen und das als Ersatz gelieferte Verbrauchsgut in diese Sache einzubauen oder die hierfür notwendigen Kosten zu tragen. Dies ergibt sich nach Ansicht des EuGH aus Art. 3 Abs. 2, 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, wonach die Ersatzlieferung unentgeltlich und „ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher“ erfolgen soll.
Außerdem entschied der Europäische Gerichtshof, dass eine nationale gesetzliche Regelung, die dem Verkäufer das Recht gewährt, die Ersatzlieferung für ein vertragswidriges Verbrauchsgut zu verweigern, weil sie für ihn wegen der Verpflichtung, auch die Aus- und Wiedereinbaukosten vorzunehmen, unverhältnismäßig wären, gegen Art. 3 Abs. 3 der EU-Richtlinie verstößt. Allerdings schließe diese EU-Regelung nicht aus, dass der Anspruch des Verbrauchers auf Erstattung der Kosten für den Aus- und Wiedereinbau des mangelhaften Verbrauchsguts in einem solchen Fall auf die Übernahme eines angemessenen Betrags durch den Verkäufer beschränkt wird.
Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21.12.2011:
Ersatzlieferung umfasst auch den Ausbau und Abtransport der mangelhaften Sache
Nunmehr hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 21.12.2011 (Aktenzeichen VIII ZR 70/08) entschieden, dass § 439 Absatz 1 BGB richtlinienkonform dahin auszulegen ist, dass die Ersatzlieferung auch den Ausbau und den Abtransport der mangelhaften Kaufsache erfasst. Diese Auslegung sei auch „noch vom Wortlaut des § 439 Absatz 1 Alternative 2 BGB gedeckt“. Vor allem im Hinblick darauf, dass der Verkäufer gemäß § 439 Absatz 4 BGB in Verbindung mit § 346 Absatz 1 Alternative 1 BGB im Falle der Ersatzlieferung seinerseits die Rückgewähr der mangelhaften Sache verlangen könne, habe der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass „dem Begriff der „Lieferung einer mangelfreien Sache“ in § 439 Absatz 1 BGB ein gewisses (Aus-)Tauschelement innewohnt.“
Leistungsverweigerungsrecht des Lieferanten wegen Unverhältnismäßigkeit besteht beim Verbrauchsgüterkauf nur eingeschränkt, nämlich in der Möglichkeit, den Käufer auf die Erstattung der Ein- und Ausbaukosten in Höhe eines angemessenen Betrages zu verweisen.
Das dem Verkäufer in § 439 Abs. 3 Satz 3 BGB eingeräumte Recht, die Nacherfüllung wegen (absolut) unverhältnismäßiger Kosten zu verweigern, sei beim Verbrauchsgüterkauf (§ 474 Abs. 1 Satz 1 BGB) im Wege der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung dahingehend einzuschränken, dass ein Verweigerungsrecht des Verkäufers nicht besteht, wenn nur eine Art der Nacherfüllung möglich ist oder der Verkäufer die andere Art der Nacherfüllung zu Recht verweigert. In diesen Fällen beschränke sich das Recht des Verkäufers, die Nacherfüllung in Gestalt der Ersatzlieferung wegen unverhältnismäßiger Kosten zu verweigern, auf das Recht, den Käufer bezüglich des Ausbaus der mangelhaften Kaufsache und des Einbaus der als Ersatz gelieferten Kaufsache auf die Kostenerstattung in Höhe eines angemessenen Betrages zu verweisen. Laut BGH hat der Lieferant in diesem Fall auch die für die Ermittlung des angemessenen Betrages maßgeblichen Umstände zu benennen.
Wonach bemisst sich der dem Käufer zu erstattende „angemessene Betrag“?
Entsprechend den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs entschied auch der Bundesgerichtshof, dass bei der Bemessung des „angemessenen Betrages“ der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand und die Bedeutung des Mangels zu berücksichtigen sei.
Im konkreten Fall begrenzte der Bundesgerichtshof den Anspruch des Käufers auf Erstattung der für den Ausbau und die Entsorgung der mangelhaften Bodenfliesen entstehenden Kosten auf insgesamt 600,- Euro. Dieser Betrag sei unter Berücksichtigung der Bedeutung der Vertragswidrigkeit (optischer Mangel der Fliesen ohne Funktionsbeeinträchtigung) und des Werts der mangelfreien Sache (ca. 1.200,- Euro) angemessen.
Keine generellen Richtlinien für die Bestimmung des „angemessenen Betrages“
Mit generellen Grenz- oder Richtwerten für die Bestimmung des „angemessenen Betrages“ wollte der Bundesgerichtshof allerdings ausdrücklich nicht aufwarten. Dies sei dem Gesetzgeber vorbehalten, welcher die Aufgabe hat, die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs entsprechend in das BGB umzusetzen.
Beachten Sie das Recht der zweiten Andienung!
Zu beachten ist, dass Sie dem Lieferanten zunächst die Möglichkeit geben müssen, den Aus- und Wiedereinbau selbst vorzunehmen (Recht der zweiten Andienung). Erst wenn Ihr Verkäufer erklärt hat, er sei zum Ausbau und Wiedereinbau im Hinblick auf den hiermit verbundenen unangemessenen Kostenaufwand nicht bereit, und Sie insoweit auf das Recht verwiesen hat, die Erstattung eines angemessenen Kostenbetrags zu verlangen, können Sie den Ausbau und Wiedereinbau selbst durchführen oder durchführen lassen.
Sie haben einen Vorschlussanspruch
Sie können bereits vor Durchführung des Aus- und Wiedereinbaus einen Vorschuss vom Lieferanten in Höhe des angemessenen Betrages verlangen.
Sie können aber auch mindern, vom Vertrag zurücktreten oder Schadensersatzanspruch statt der Leistung geltend machen
Verweigert der Lieferant das Verlangen des Käufers auf den Ausbau der mangelhaften und Wiedereinbau der neuen Sache mit der Einrede, seine Nacherfüllungsverpflichtung beschränke sich hinsichtlich der Aus- und Einbaukosten wegen Unverhältnismäßigkeit auf den Ersatz eines angemessenen Betrages, so kann der Käufer statt dessen direkt (ohne Fristsetzung) vom Kaufvertrag zurücktreten, Schadensersatz statt der Leistung (nur bei Verschulden des Verkäufers!) geltend machen oder mindern.
Fazit und Praxishinweis:
Der Anspruch des Käufers auf Ausbau und Abtransport der mangelhaften Sache gilt auch im B2B-Bereich
Nachdem der Bundesgerichtshof bei seiner richtlinienkonformen Auslegung des § 439 BGB keine Einschränkung auf den Verbrauchsgüterkauf vorgenommen hat, ist davon auszugehen, dass seine Rechtsprechung, wonach zur Ersatzlieferung auch der Ausbau und Abtransport der mangelhaften Ware gehört auch zwischen Unternehmen gelten soll.
Was gilt jetzt hinsichtlich des Einbaus der neu gelieferten mangelfreien Ware?
Nach der eindeutigen Erklärung des Europäischen Gerichtshofes, dass es auch gegen die EU-Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf verstößt, wenn der Käufer die Einbaukosten nicht ersetzt bekommt, hat der Europäischen Gerichtshof im Grunde auch dem eingangs genannten Urteil des BGH vom 15.07.2008 zu den Einbaukosten eine Absage erteilt. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Bundesgerichtshof in Zukunft entgegen seinem Urteil vom 15.07.2008 entsprechend seinem aktuell gefällten Urteil zu den Ausbaukosten entscheiden wird, dass auch der Wiedereinbau der mangelfreien Ware zur Ersatzlieferung gehört. Dies gilt jedenfalls für den Verbrauchsgüterkauf.
Anspruch auf Einbau der als Ersatz gelieferten Ware auch im B2B-Bereich?
Da der Bundesgerichtshof hinsichtlich der Ausbaukosten keine Einschränkung auf den Verbrauchsgüterkauf vorgenommen hat, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der BGH künftig auch für den B2B-Bereich entscheiden wird, dass die Ersatzlieferung auch den Wiedereinbau der Ware umfasst. Diesbezüglich besteht aber leider nach wie vor noch Rechtsunsicherheit.
Gilt die Einschränkung des Rechtes des Verkäufers zur Verweigerung der Nacherfüllung insgesamt wegen Unverhältnismäßigkeit auch im B2B-Bereich?
Nachdem der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung diesbezüglich ausdrücklich auf den Verbrauchsgüterkauf beschränkt hat, ist davon auszugehen, dass diese Einschränkung zwischen Unternehmen nicht gilt, d.h. im B2B-Bereich kann der Lieferant nach wie vor nach § 439 Absatz 3 Satz 3 BGB die Nacherfüllung insgesamt wegen Unverhältnismäßigkeit verweigern.
Das Urteil des BGH vom 21. 12.2011 können Sie abrufen unter www.bundesgerichtshof.de, dort unter Entscheidungen unter Angabe des Aktenzeichens VIII ZR 70/08.
Barbara Gottschalk schreibt am 25. Dezember 2012:
Sehr geehrte Frau Schaeufflelen,
in Ihrem Artikel geben Sie das Recht des Käufers auf Vorschußzahlung
vor Durchführung der Aus und Wiedereinbaukosten an. Ich bin
in einer dieser problematischen Lage und mein Anwalt sagte mir
daß ich diesen Anspruch nicht hätte.
Würde mich freuen wenn ich diesbezüglich eine Möglichkeit habe
Würden Sie so freundlich sein und mir diesbezüglich mitzuteilen auf
was ich mich genau beziehen kann.
Herzlichen Dank im voraus Barbara Gottschalk