EuGH entscheidet käuferfreundlich: Nach europäischem Recht haftet der Verkäufer auch für die Ein- und Ausbaukosten!
Es ist nach wie vor eine hoch brisanten Frage, ob der Verkäufer im Falle der Lieferung mangelhafter Materialien auch den Ausbau der mangelhaften und den Einbau der mangelfreien Materialien übernehmen muss bzw. die hierdurch entstandenen Kosten zu tragen hat. Mit dieser Frage hatte sich nunmehr der Europäische Gerichtshof zu befassen.
Hintergrund und Sachverhalt:
In einem sehr praxisrelevanten, wenig käuferfreundlichen, aber auch sehr umstrittenen Urteil vom 15.07.2008 (Az. VIII ZR 211/07) hatte der BGH entschieden, dass der Verkäufer mangelhafter Parkettstäbe im Zuge der Nacherfüllung durch Ersatzlieferung nicht verpflichtet ist, den Einbau der als Ersatz gelieferten Partkettstäbe zu übernehmen. (siehe Beitrag vom 22.08.2011). In dem vom BGH dem EuGH vorgelegten Fall ging es nun um die Kosten für den Ausbau mangelhafter Fliesen einschließlich deren Entsorgung. Ein Bauherr hatte für 1.382,27 Euro polierte Bodenfliesen bei einem Händler gekauft. Nachdem zwei Drittel der Fliesen in seinem Haus verlegt waren, wurden Mängel an den Fliesen festgestellt. Eine Mängelbeseitigung war nur durch einen kompletten Austausch der Fliesen möglich. Während das OLG dem Käufer der Fliesen die Kosten für Ausbau und Entsorgung der mangelhaften Fliesen zugesprochen hatte, war der BGH der Ansicht, dass diese Kosten nach deutschem Recht im Rahmen der Nacherfüllung nicht verlangt werden können, sondern allenfalls als Schadensersatzanspruch bei Vorliegen eines Verschuldens von Seiten des Verkäufers. Der BGH hatte allerdings Bedenken, dass es gegen die europäische Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 99/44/EG verstoßen könnte, wenn dem Käufer bei fehlendem Verschulden von Seiten des Verkäufers die Ausbaukosten nicht erstattet werden. Deshalb legte der BGH mit Beschluss vom 14.01.2009 dem EuGH diese Frage zur Vorabentscheidung vor (siehe Beitrag vom 21.03.2009).
Entscheidung des EuGH:
Der EuGH entschied nunmehr mit Urteil vom 16.06.2011, dass der Verkäufer im Falle der Lieferung eines mangelhaften Verbrauchsgutes, welches der Käufer vor Auftreten des Mangels bereits gutgläubig eingebaut hat, verpflichtet ist, entweder selbst den Ausbau dieses Verbrauchsguts aus der Sache, in die es eingebaut wurde, vorzunehmen und das als Ersatz gelieferte Verbrauchsgut in diese Sache einzubauen oder die hierfür notwendigen Kosten zu tragen. Dies ergibt sich nach Ansicht des EuGH aus Art. 3 Abs. 2, 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, wonach die Ersatzlieferung unentgeltlich und „ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher“ erfolgen soll. Wenn jedoch im Falle der Ersatzlieferung der Verkäufer die Aus- und Einbaukosten nicht übernehmen müsste, würde der Verbraucher mit zusätzlichen Kosten belastet, die er bei ordnungsgemäßer Erfüllung durch den Verkäufer nicht hätte tragen müssen. Nach Ansicht des EuGH führt es auch nicht zu einem ungerechten Ergebnis, dem Verkäufer die Ein- und Ausbaukosten auch dann aufzubürden, wenn ihn kein Verschulden trifft, denn schließlich habe der Verkäufer aufgrund der Lieferung eines vertragswidrigen Verbrauchsguts die Verpflichtung, die er im Kaufvertrag eingegangen ist, nicht ordnungsgemäß erfüllt und müsse daher die Folgen der Schlechterfüllung tragen. Dagegen habe der Verbraucher seinerseits den Kaufpreis gezahlt und damit seine vertragliche Verpflichtung erfüllt. Dem Verbraucher könne jedenfalls dann, wenn er das Verbrauchsgut gutgläubig einbaut, auch kein Verschulden zur Last gelegt werden.
Mit seinem Urteil hat der EuGH nicht nur die Frage des BGH zu den Ausbaukosten entschieden, sondern gleichzeitig auch dem oben bereits genannten Parkettstäbe-Urteil des BGH zu den Einbaukosten widersprochen.
Praxishinweis:
Es bleibt abzuwarten, wie der BGH den Fliesenfall nunmehr entscheidet. Vermutlich wird der BGH nun § 439 Absatz 2 BGB richtlinienkonform dahingehend auslegen, dass die Ausbaukosten jedenfalls im Verbrauchsgüterkauf doch zu den Nacherfüllungskosten gehören.
Da die EU-Richtlinie nur den Verbraucher schützt, bleibt die Frage offen, ob sich die Entscheidung des EuGH auch auf den B2B-Bereich auswirkt. Dies hängt letztlich davon ab, ob der BGH die richtlinienkonforme Auslegung ausdrücklich auf den Verbrauchsgüterkauf beschränkt oder generell entscheidet, dass unter die Nacherfüllungskosten auch die Ausbaukosten fallen.
Vielleicht reagiert aber auch der Gesetzgeber auf das Urteil des EuGH mit einer Klarstellung, dass generell auch Ein- und Ausbaukosten unter die Nacherfüllungskosten des § 439 Absatz 2 BGB fallen. Dies käme dann auch der Einkaufsseite im B2B-Bereich zu Gute. Oder der Gesetzgeber schafft eine neue Sonderregelung für den Verbrauchsgüterkauf und macht damit klar, dass die Ein- und Ausbaukosten nur bei Lieferung mangelhafter Verbrauchsgüter zu ersetzen sind.
Kann sich der Verkäufer auf Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung berufen?
Nach § 439 Absatz 3 Satz 3 BGB steht dem Verkäufer das Recht zusteht, die Nacherfüllung insgesamt zu verweigern, wenn diese nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. Hierauf berief sich auch der Verkäufer der Fliesen in dem vom BGH zu entscheidenden Fall, da die Ein- und Ausbaukosten ein Vielfaches der Kosten des gekauften Produktes ausmachten (Einkauf der Bodenfliesen zu einem Preis von 1.382,27 Euro, Austauschkosten 5.830,57 Euro). Der BGH hatte auch hinsichtlich der Regelung des § 439 Absatz 3 Satz 3 BGB Bedenken und legte deshalb dem Europäischen Gerichtshof die Frage vor, ob auch in dieser Regelung möglicherweise ein Verstoß gegen die EU-Richtlinie zu sehen ist. Auch hinsichtlich dieser Frage entschied der EuGH nun verbraucherfreundlich: Der Verkäufer kann nur die Nacherfüllungsalternative, welche der Käufer wählt (Nachbesserung oder Ersatzlieferung) wegen unverhältnismäßig hoher Kosten verweigern, aber nicht die Nacherfüllung insgesamt. Erweist sich –wie im vorliegenden Fall – nur eine der Alternativen als möglich, um den vertragsgemäßen Zustand herzustellen (hier Lieferung neuer Fliesen), kann der Verkäufer diese einzige Abhilfe nicht verweigern. Allerdings ist es nach der EU-Richtlinie laut EuGH möglich, die Kostenerstattung auf einen Betrag zu beschränken, der verglichen mit dem Wert des Verbrauchsguts und der Bedeutung der Vertragswidrigkeit verhältnismäßig ist. Die Möglichkeit, eine solche Herabsetzung vorzunehmen, dürfe aber nicht zur Folge haben, dass das Recht des Verbrauchers auf Erstattung dieser Kosten ausgehöhlt wird. Außerdem müsse dem Verbraucher im Falle einer Herabsetzung des Anspruchs die Möglichkeit gewährt werden, statt Ersatzlieferung eine angemessene Minderung des Kaufpreises oder die Vertragsauflösung zu verlangen.
Es bleibt zu hoffen, dass sich der Gesetzgeber der Aufgabe, diese Vorgaben des EuGH im BGB umzusetzen, baldmöglichst widmet!