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Lieferant in Insolvenz: Kündigung zulässig?

20. Januar 2014

Grundsätzlich berechtigt weder ein Insolvenzantrag noch die Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Lieferanten den Auftraggeber zur Kündigung des Vertrages. Deswegen sind Klauseln in Verträgen, welche ein Kündigungsrecht des Auftraggebers im Falle der Insolvenz des Auftragnehmers / Lieferanten vorsehen, sehr beliebt. Gleichzeitig ist deren Wirksamkeit aber schon lange heftig umstritten. Nunmehr hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 15.11.2012 (Az. IX ZR 169/11) entschieden, dass Lösungsklauseln in Verträgen über die fortlaufende Lieferung von Waren oder Energie, die an den Insolvenzantrag oder die Insolvenzeröffnung anknüpfen, unwirksam sind!

Der Bundesgerichtshof hatte über folgende Klausel in einem Stromlieferungsvertrag zu entscheiden:

„Der Vertrag endet auch ohne Kündigung automatisch, wenn der Kunde einen Insolvenzantrag stellt oder aufgrund eines Gläubigerantrags das vorläufige Insolvenzverfahren eingeleitet oder eröffnet wird.“

Diese Lösungsklausel erklärte der Bundesgerichtshof für unwirksam. Sie schließe im Voraus das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO aus. Nach dieser Regelung darf nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Insolvenzverwalter entscheiden, ob der Vertrag noch erfüllt wird oder die Erfüllung abgelehnt wird. Hierdurch soll die Masse geschützt und im Interesse einer gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung vermehrt werden. Wenn sich der Vertragspartner des Schuldners nun allein wegen Insolvenz von einem für die Masse günstigen Vertrag lösen könnte, würde dieser Zweck vereitelt werden. Deshalb sieht auch § 119 InsO vor, dass Vereinbarungen, durch die im Voraus die Anwendung der §§ 103 bis 118 InsO ausgeschlossen oder beschränkt wird, unwirksam sind. Der Anwendbarkeit von §§ 103,119 InsO steht nach Ansicht des Bundesgerichtshofs auch nicht entgegen, dass die streitgegenständliche Klausel die Vertragsauflösung bereits für den Fall eines Insolvenzantrages vorsieht. § 119 InsO müsse eine Vorwirkung jedenfalls ab dem Zeitpunkt zuerkannt werden, in dem wegen eines zulässigen Insolvenzantrags mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ernsthaft zu rechnen ist. Würde man eine Lösungsklausel für wirksam erachten, die lediglich an den Insolvenzantrag anknüpft, würde in der Praxis die Regelung der §§ 103,119 InsO ins Leere laufen.

Ist das Urteil des Bundesgerichtshofs anwendbar auf § 8 Absatz 2 VOB/B und auf vergleichbare Kündigungsklauseln in Einkaufsverträgen?

Da sich das Urteil des BGH ausdrücklich nur auf Verträge über die fortlaufende Lieferung von Waren bezieht, stellt sich die Frage, ob das Urteil des Bundesgerichtshofs auch auf Lösungsklauseln in sonstigen Kauf- und Werkverträgen anwendbar ist.

Im Hinblick auf § 8 Absatz 2 Nr. 1 VOB/B ist dies schon lange umstritten. Diese Regelung aus der in der Baupraxis häufig vereinbarten VOB/B lautet wie folgt:

„Der Auftraggeber kann den Vertrag kündigen, wenn der Auftragnehmer seine Zahlungen einstellt, von ihm oder zulässigerweise vom Auftraggeber oder einem anderen Gläubiger das Insolvenzverfahren (§§ 14 und 15 InsO) beziehungsweise ein vergleichbares gesetzliches Verfahren beantragt ist, ein solches Verfahren eröffnet wird oder dessen Eröffnung mangels Masse abgelehnt wird.“

Zuletzt hat das Oberlandesgericht Schleswig mit Urteil vom 09.12.2011 (Aktenzeichen 1 U 72/11) diese Regelung aus der VOB/B für wirksam erachtet. Leider hat sich der Bundesgerichtshof in seinem oben dargestellten Urteil zu den Auswirkungen seiner Rechtsprechung auf § 8 Absatz 2 VOB/B oder auf Lösungsklauseln in sonstigen Vertriebsverträgen nicht geäußert. Es gibt aber schon erste Stimmen in der baurechtlichen Literatur, welche die Regelung des § 8 Absatz 2 Satz VOB/B angesichts des o.g. Urteils des Bundesgerichtshofs nunmehr für unwirksam halten.

Praxishinweis:

Auch wenn sich das Urteil des Bundesgerichtshofs ausdrücklich nur auf Verträge über die fortlaufende Lieferung von Waren bezieht, ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Rechtsprechung auch generell auf Kauf- und Werkverträge angewendet wird, recht hoch.

Besser: Kündigung oder Rücktritt aufgrund insolvenzunabhängiger Kündigungsgründe!

Da es im Falle von Insolvenzen häufig auch zu Vertragsverletzungen kommt, beispielsweise zu Lieferverzug oder mangelhaften Lieferungen / Leistungen, empfiehlt es sich, eine Kündigung des Vertrages auf diese Vertragspflichtverletzungen zu stützen – statt auf die jetzt äußerst wackelige Lösungsklausel für den Fall der Insolvenz -. Natürlich sind dabei die jeweiligen gesetzlichen und vertraglichen Voraussetzungen für die Kündigung bzw. Rücktritt einzuhalten, wie z.B. der Ablauf einer dem Auftragnehmer zuvor gesetzten angemessenen Frist.