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Offiziell ein Werkvertrag, tatsächlich verdeckte Arbeitnehmerüberlassung – die Risiken sollten nicht unterschätzt werden!

03. Dezember 2013

Ein Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 12.12.2012 (Az 15 Sa 1217/12) zeigt mal wieder, wie schnell man es mit einer Arbeitnehmerüberlassung zu tun hat, obwohl man einen Werk- oder Dienstvertrag abgeschlossen hat – und das trotz vereinbarten Einheitspreisen und Leistungsverzeichnis!

Sachverhalt:

Die Arbeitnehmerin war von 2004 bis 2011 bei der B-GmbH als Verpackerin in der Fleischbranche tätig. Sie arbeitete dort allerdings nicht als Angestellte der B-GmbH, sondern im Rahmen eines Werkvertrages, welchen ihr Arbeitgeber mit der B-GmbH abgeschlossen hatte. Der Werkvertrag sah die Erbringung der Leistung in den Räumen der B-GmbH, eine Vergütung pro Stück oder Kilogramm sowie eine Haftung für Bruch vor und verneinte ausdrücklich ein Weisungsrecht der B-GmbH. Während die Arbeitnehmerin eine Stundenvergütung von 6,30 Euro erhielt, zahlte die B-GmbH ihren eigenen Mitarbeitern 9,21 Euro in der Stunde. Die Arbeitnehmerin verlangte von ihrer Arbeitgeberin die Zahlung des Differenzlohns der letzten drei Jahre, insgesamt knapp 19.000 Euro mit der Begründung, dass es sich hier um Arbeitnehmerüberlassung handele und ihr deshalb gem. § 9 Ziff. 2, 10 Abs. 4 AÜG für die Zeit der Überlassung das im Betrieb der B-GmbH für einen vergleichbaren Arbeitnehmer gezahlte Arbeitsentgelt zu gewähren sei.

Entscheidung des Landesarbeitsgerichts:

Das LAG gab dem Arbeitnehmer im vollen Umfang recht! Im Rahmen einer Gesamtschau der verschiedenen Einzelumstände kommt das LAG zum Ergebnis, dass trotz der Ausgestaltung des von den Parteien als Werkvertrag bezeichneten Vertrages (Leistungsverzeichnis, Haftung, Einheitspreise) die Kriterien für eine Arbeitnehmerüberlassung überwiegen. Das LAG stellte dabei insbesondere darauf ab, dass sich der konkrete Inhalt der Leistung nicht aus dem Werkvertrag und dem Leistungsverzeichnis ergaben, sondern erst die Anweisungen der B-GmbH in der jeweiligen Vorwoche den konkreten Bedarf und Leistung festlegten und den Arbeitskräfteeinsatz bindend organisierten. „Richten sich die vom Auftragnehmer zu erbringenden Leistungen nach dem Bedarf des Auftraggebers, so spricht dies ganz erheblich gegen das Vorliegen eines Werk- oder Dienstvertrages und für eine Eingliederung der Arbeitnehmer in den Betrieb des Auftraggebers. Insofern fehlt es an einer abgrenzbaren, dem Auftragnehmer als eigene Leistung zurechenbaren und abnahmefähigen Werkes. Dies deutet auf Arbeitnehmerüberlassung hin, wenn der Auftraggeber durch seine Anweisungen den Gegenstand der von dem Arbeitnehmer zu erbringenden Leistungen überhaupt erst bestimmt und damit Arbeit und Einsatz bindend organisiert.“ Auch die Tatsache, dass die eigene unternehmerische Leistung des Auftragnehmers nur darin bestand, eine gewisse Anzahl von Produktionskräften und einen Vorarbeiter zur Verfügung zu stellen, war für das LAG ein wichtiges Indiz für Arbeitnehmerüberlassung. Ausschlaggebend war für das LAG darüber hinaus, dass die Arbeitnehmerin und auch andere Arbeitnehmer ihres Arbeitgebers bei Ausfall von Mitarbeitern der B-GmbH bei Krankheit oder Urlaub eingesetzt wurden, wobei diese Tätigkeiten auf Stundenbasis abgerechnet wurden. Die B-GmbH konnte insofern auf diese Arbeitnehmer selbst außerhalb der Regelungen des Werkvertrages und der Leistungsverzeichnisse zurückgreifen. Darüber hinaus sah es das LAG als völlig ungewöhnlich für einen Werkvertrag an, dass die B-GmbH den Arbeitnehmer anlernte, da dies im Rahmen eines Werkvertrages eigentlich alleinige Aufgabe des Auftragnehmers ist.
Aufschlussreich sind auch die folgenden Ausführungen des LAG:
„Über die rechtliche Einordnung des Vertrags zwischen dem Dritten und dem Arbeitgeber entscheidet der Geschäftsinhalt und nicht die von den Parteien gewünschte Rechtsfolge oder eine Bezeichnung, die dem tatsächlichen Geschäftsinhalt nicht entspricht. Die Vertragsschließenden können das Eingreifen zwingender Schutzvorschriften des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes nicht dadurch vermeiden, dass sie einen vom Geschäftsinhalt abweichenden Vertragstyp wählen. Der Geschäftsinhalt kann sich sowohl aus den ausdrücklichen Vereinbarungen der Vertragsparteien als auch aus der praktischen Durchführung des Vertrags ergeben. Widersprechen sich beide, so ist die tatsächliche Durchführung des Vertrags maßgebend…“

Praxishinweis:

In der Praxis werden häufig Dienst- und Werkverträge abgeschlossen, die sich bei genauerer Betrachtung als Arbeitnehmerüberlassung entpuppen. Und hier genau liegt das besondere Risiko: Schließen Sie für Ihr Unternehmen Werk- und Dienstverträge ab, so werden Sie in der Regel nicht prüfen, ob der Auftragnehmer eine Verleiherlaubnis hat, da eine solche im Rahmen des Werk-/Dienstvertrages auch nicht benötigt wird. Stellt sich im Nachhinein allerdings heraus, dass es sich eben nicht um einen Werk- oder Dienstvertrag handelt sondern um Arbeitnehmerüberlassung, liegt – bei fehlender Verleiherlaubnis – illegale Arbeitnehmerüberlassung vor. Dies führt gemäß § 9 Nr. 1 AÜG dazu, dass sowohl der zwischen Ihnen und dem Auftragnehmer geschlossene Werk-/Dienstvertrag unwirksam ist als auch der Arbeitsvertrag zwischen dem Auftragnehmer (dann Verleiher) und seinem (Leih-) arbeitnehmer. Statt dessen entsteht ein fiktives Arbeitsverhältnis zwischen Ihrem Unternehmen (dann nämlich illegaler Entleiher) und dem Leiharbeitnehmer. (§ 10 Absatz 1 Satz 1 AÜG).
Dem zum „illegalen Entleiher“ gewordenem Auftraggeber droht aber nicht nur ein ungewolltes Arbeitsverhältnis mit dem Leiharbeitnehmer, sondern darüber hinaus eine Geldbuße bis zu 30.000,- €. Kassieren die Behörden auch noch den erwirtschafteten Vorteil beim Entleiher ab (§ 17 Abs. 4 Ordnungswidrigkeitsgesetz), kann der Schaden für den Betrieb in die Hunderttausende gehen.

Der Zoll ist „wachgerüttelt“ und deckt konsequent Fälle verdeckter Arbeitnehmerüberlassung auf!

Die Situation hat sich nun noch zusätzlich durch die neu eingeführten Branchenzuschläge verschärft. Zeitarbeitnehmer erhalten danach, je nach Einsatzbetrieb, Einsatzdauer und Ihrer Qualifikation einen Zuschlag, den sogenannten „Branchenzuschlag“, auf ihren aktuell laut Tarifvertrag vereinbarten Lohn. Da von diesen Branchenzuschlägen nur solche Arbeitnehmer erfasst werden, die aufgrund von Arbeitnehmerüberlassung tätig sind und nicht solche, die im Rahmen eines Werk- oder Dienstvertrages eingesetzt werden, erwarten der Gesetzgeber, Gewerkschaften und „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ des Zolls „Ausweichbewegungen“ hin zu (Schein-) Werk-/Dienstverträgen. Deshalb will der Zoll in Zukunft einen erheblichen Prüfungsschwerpunkt auf solche Werk- und Dienstverträge legen!

Und hier nochmal die wichtigsten Abgrenzungskriterien:

Direktionsrecht:

Das Direktionsrecht / Weisungsbefugnis ist ein besonders ausschlaggebendes Abgrenzungskriterium. Beim Werkvertrag steht alleine dem Werkunternehmer das Direktionsrecht zu. Deshalb spricht es eindeutig für einen Werkvertrag, wenn die Weisungsbefugnis beim Auftragnehmer verbleibt. Dagegen spricht es für Arbeitnehmerüberlassung, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsanweisungen nicht von seinem Arbeitgeber bekommt, sondern von dem Unternehmen, bei welchem er eingesetzt ist.

Organisation:

Für das Vorliegen eines Werk- bzw. Dienstvertrages spricht es, wenn der Auftragnehmer den Einsatz seiner Arbeitnehmer selbst organisiert, d.h. der Auftragnehmer selbst wählt das eingesetzte Personal aus, entscheidet über Urlaub und Arbeitszeit, ordnet Überstunden an, etc. Werden solche Organisationsaufgaben von Seiten des Auftraggebers durchgeführt, spricht dies sehr stark für Arbeitnehmerüberlassung.

Eingliederung in den Betrieb des Auftraggebers:

Wird der vom Auftragnehmer entsandte Arbeitnehmer in die Arbeitsabläufe oder in den Produktionsprozess des Auftraggebers eingegliedert, ist dies ein Indiz für Arbeitnehmerüberlassung. Eine solche Eingliederung liegt insbesondere vor, wenn die in den Betrieb entsandten Mitarbeiter wie die eigenen Arbeitnehmer beschäftigt werden.

Reihenwerkverträge:

Eine langanhaltende oder häufige Verlängerung von Werkverträgen oder die Aneinanderreihung vieler Einzelwerkverträge spricht vor allem dann für Arbeitnehmer-überlassung, wenn dies ohne vertragslose Zwischenzeiten über einen längeren Zeitraum hinweg geschieht. In einem solchen Fall hilft auch eine sehr konkret formulierte Werkleistung nur bedingt weiter.

Material- und Gerätestellung:

Typisch für einen Werkvertrag ist es, wenn der Auftragnehmer die erforderlichen Werkzeuge, Anlagen und Materialien den Arbeitnehmern zur Verfügung stellt. Werden diese Geräte, bzw. Materialien dagegen von dem Besteller gestellt, spricht dies für Arbeitnehmerüberlassung.

Unternehmerische Dispositionsfreiheit und Unternehmerrisiko

Vertragstypische Rechte/Pflichten des Werkunternehmers sind insbesondere:
Entscheidung über Auswahl der eingesetzten Arbeitnehmer (Zahl, Qualifikation und
Person),Ausbildung und Einarbeitung, Bestimmung der Arbeitszeit und Anordnung von Überstunden,Gewährung von Urlaub und Freizeit, Durchführung der Anwesenheitskontrolle, Überwachung der Ordnungsmäßigkeit der Arbeitsabläufe.
Werden derartige Funktionen vom angeblichen Werkbesteller wahrgenommen, spricht dies für Arbeitnehmerüberlassung.

Geschäftsanweisung zum AÜG, Bundesagentur für Arbeit, Ziffer 1.1.6. Absatz 3:

„Bei der Unterscheidung zwischen Arbeitnehmerüberlassung und anderen Formen drittbezogenen Personaleinsatzes darf nicht schematisch vorgegangen werden. Das Vorliegen eines oder mehrerer Kriterien muss noch nicht für oder gegen einen bestimmten Vertragstyp sprechen; dies gilt insbesondere, wenn für ein solches Kriterium eine objektiv berechtigte Notwendigkeit bestand. Im Hinblick auf die Vielfalt der denkbaren Vertragsgestaltungen gibt erst eine (qualitative) Gewichtung der maßgeblichen Abgrenzungskriterien im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung zuverlässigen Aufschluss über die Zuordnung drittbezogenen Personaleinsatzes zu einer bestimmten Vertragsform.“