Praxistipps, aktuelle Rechtsprechung und Formulierungshilfen zur Vertragsstrafe
Vertragsstrafen werden in der Praxis häufig vereinbart. Ihre rechtliche Durchsetzbarkeit scheitert jedoch nicht selten an der Überschreitung AGB-rechtlicher Grenzen oder Nichteinhaltung gesetzlicher Vorgaben. Der folgende Beitrag zeigt auf, welche Fallstricke bei der Formulierung und Durchsetzung einer Vertragsstrafe zu beachten sind.
Vertragsstrafen müssen vertraglich vereinbart sein!
Während Sie Ihren Anspruch auf Ersatz Ihres Verzugsschadens als gesetzlichen Anspruch (§ 280 BGB) auch dann geltend machen können, wenn Sie hierzu im Vertrag mit Ihrem Lieferanten keine Regelung getroffen haben, müssen Sie eine Vertragsstrafe im Vertrag ausdrücklich vereinbart haben, um diese geltend machen zu können.
In der Praxis werden Vertragsstrafen in der Regel für den Fall der Überschreitung von Terminen vereinbart. Vertragsstrafen können aber auch für andere Fälle von Vertragsverletzungen vereinbart werden, z.B. für die Nichterfüllung oder die Schlechterfüllung.
Zweck von Vertragsstrafen
Die Vertragsstrafe bietet Ihnen als Auftraggeber den großen Vorteil, dass Sie dem Lieferanten den vereinbarten Vertragsstrafenbetrag in Rechnung stellen können, ohne ihm einen in dieser Höhe konkret entstandenen Schaden darlegen oder beweisen zu müssen. Die Vertragsstrafe ist deshalb in der Regel wesentlich leichter und unkomplizierter durchzusetzen als der Ihnen vom Gesetz zustehende Schadensersatzanspruch. Außerdem soll mit der Vereinbarung der Vertragsstrafe die Verbindlichkeit vereinbarter Termine zusätzlich betont werden und der Lieferant zur Termintreue stärker „motiviert“ werden.
Rechtsprechung zur Höhe der Vertragsstrafe
Die Höhe der Vertragsstrafe kann von den Vertragsparteien grundsätzlich frei festgesetzt werden. Wird die Vertragsstrafe als Individualabrede vereinbart, so besteht bzgl. ihrer Höhe ein relativ weiter Gestaltungsspielraum für die Parteien. Allerdings ist auch eine individuell vereinbarte Vertragsstrafe unwirksam, wenn die festgelegte Höhe gegen die guten Sitten verstößt (§ 138 BGB), was insbesondere bei Ausnutzung wirtschaftlicher Macht, Existenzgefährdung oder Knebelung des Auftragnehmers in Betracht kommt.
Wesentlich enger gezogen sind die Grenzen bzgl. der noch zulässigen Höhe der Vertragsstrafe dagegen, wenn die Vertragsstrafe in Form einer Allgemeinen Geschäftsbedingung vereinbart wird (zur Abgrenzung der Individualvereinbarung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen siehe den Artikel in der letzten Ausgabe). Aus zahlreichen Einzelentscheidungen haben sich diesbezüglich folgende AGB-rechtlichen Grenzen herauskristallisiert:
Die Vertragsstrafe sollte pro Kalendertag 0,2 % der Auftragssumme nicht überschreiten (vom BGH wurden 0,3 % pro Arbeitstag anerkannt (BGH BauR 1976,279), das OLG Dresden (BauR 2001, 949) hat in diesem Zusammenhang entschieden, dass 0,3 % pro Kalendertag zu hoch und damit unwirksam sei). Außerdem muss eine Obergrenze von höchstens 5 % der Auftragssumme festgelegt werden. Hierbei handelt es sich um eine Höchstgrenze, d.h. eine darüber liegende Vertragsstrafe in Form einer AGB ist in der Regel unwirksam. Umgekehrt ist eine Vertragsstrafenregelung, die sich in diesen Grenzen bewegt, in der Regel wirksam. Allerdings betont der Bundesgerichtshof stets, dass es hierbei keine festen Regeln gebe. Vielmehr komme es stets auf den Einzelfall an, wobei die jeweiligen Branchengewohnheiten und die konkrete Interessenlage eine entscheidende Rolle spielen.
Vertrauensschutz für „Altvertragsstrafen“
Die Höchstgrenze von 5% geht auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 23.01.2003 zurück. In dieser Entscheidung hat der Bundesgerichtshof die bis dahin als gültig angesehene Obergrenze von 10% der Auftragssumme gekippt und entschieden, dass eine in AGB von Bauverträgen enthaltene Obergrenze der Vertragsstrafe von 10% der Auftragssumme den Auftragnehmer unangemessen benachteiligt. Im Hinblick auf den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes hat allerdings der BGH davon abgesehen, Vertragsstrafeklauseln mit einer Obergrenze von bis zu 10% bei Auftragssummen bis zu 13 Mio. DM als unwirksam anzusehen. Unwirksam sind solche Klauseln jedoch dann, wenn die Verträge nach dem Bekannt werden der zitierten Entscheidung geschlossen wurden. Mit Urteil vom 08.07.2004 (IBR 2004,561) hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass der Vertrauensschutz bei einer Abrechungssumme bis zu 15 Mio. DM gilt. Außerdem legte der BGH als Datum für das Bekannt werden seiner Entscheidung den 30.06.2003 fest.
Dies bedeutet, dass nur solche Vertragsstraferegelungen Vertrauensschutz genießen, die zum einen vor dem 30.06.2003 vereinbart worden sind und bei welchen zum anderen die maßgebliche Auftragssumme 15 Mio. DM nicht überschreitet.
Vertragsstrafe nur im Falle des Verzuges!
Voraussetzung für die Geltendmachung von Vertragsstrafen ist, dass sich der Auftragnehmer jeweils im Verzug befindet, d.h. die vertragsgemäße Erfüllung muss vom Auftraggeber angemahnt worden sein. Die Mahnung ist allerdings entbehrlich, wenn sich die Vertragsstrafe auf einen kalendermäßig bestimmten Termin, z.B. konkretes Datum oder Kalenderwoche bezieht. Dies dürfte in der Praxis eher die Regel sein.
Außerdem muss der Auftragnehmer die nicht vertragsgemäße Erfüllung verschuldet haben. Dabei hat der Auftragnehmer die Beweislast dass er die Verzögerung nicht verschuldet hat.
Verschuldensunabhängig formulierte Vertragsstrafen sind unwirksam!
Ergibt sich aus einer vorformulierten Vertragsstrafenregelung nicht eindeutig, dass die Vertragsstrafe nur zu bezahlen ist, wenn der Auftragnehmer die Verzögerung verschuldet hat (z.B. bei der Formulierung „Überschreitet der Auftragnehmer den vereinbarten Fertigstellungstermin, so hat er für jeden Tag der Fristüberschreitung 0,2 % der Auftragssumme, höchstens 5% der Auftragssumme zu zahlen….“), stellt dies nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine unangemessene Benachteiligung dar, was zur Unwirksamkeit der gesamten Vertragsstraferegelung führt (BGH, Urteil vom 26.09.1990, BauR 1997, 123, 124).
Die Formulierung „Gerät der Auftragnehmer mit seiner Leistung in Verzug, so hat er für jeden Tag des Verzugs …. zu zahlen“ ist wirksam, da Verzug immer das Verschulden beinhaltet.
Wurde allerdings bei Bauverträgen die VOB Teil B nachrangig vereinbart, heilt dies eine verschuldensunabhängig formulierte Vertragsstrafe, weil die VOB/B in § 11 Nr. 2 ausdrücklich regelt, dass eine Vertragsstrafe nur im Falle des Verzuges des Auftragnehmers fällig wird. (BGH, Urteil vom 30.03.2006 – VII ZR 44/05 in IBR 2006, 386).
Vertragsstrafen bezogen auf Zwischenfristen
Bezieht sich die Vertragsstrafe auch auf die vereinbarten Zwischenfristen, so besteht die Gefahr, dass im Streitfalle das Gericht wegen der möglichen Kettenreaktion der Überschreitung einer Zwischenfrist schon einen Tagessatz von z.B. nur 0,1 % als überhöht ansieht (vgl. OLG Bremen NJW-RR 1987, 468 – hier war eine Vertragsstrafe von weniger als 0,1 % für 13 Zwischenfristen und die Vollendungsfrist vereinbart worden).
Beispiel: Es wurde eine Vertragsstrafe mit einem Tagessatz von 0,2 % vereinbart, und zwar bezogen auf den Baubeginn, eine Zwischenfrist und die Bauvollendung. Wird nun bereits der Baubeginn verzögert, so kann es zu einer Kettenreaktion kommen, die zu einem Tagessatz von 0,6 % (3 x 0,2 %) führt. Schon wegen dieser Möglichkeit der Kettenreaktion kann das Gericht die Vertragsstrafe als überhöht und damit unwirksam ansehen.
Tipp: Soll sich die Vertragsstrafe nicht nur auf das Projektende sondern auch auf den Projektbeginn und/oder Zwischenfristen beziehen, sollten die jeweiligen Termine jeweils mit einer eigenen Vertragsstrafe belegt werden (z.B. durch eine ziffernmäßige Untergliederung der Vertragsstraferegelung). In diesem Fall überprüft der Bundesgerichtshof die jeweiligen Vertragsstrafenregelungen getrennt.
Vertragsstrafe und Verzugsschaden können nicht kumulativ verlangt werden!
Sie können als Auftraggeber nicht die vereinbarte Vertragsstrafe und zusätzlich noch Ihren konkret entstandenen Verzugsschaden geltend machen. Ein solcher Gewinn auf Kosten des Auftragnehmers wäre unzulässig und eine entsprechende Vereinbarung als AGB unwirksam (BGH, VII ZR 305/87, BauR 1989,459,460)
Sie können allerdings mit der Vertragsstrafe dann „Gewinn machen“, wenn die Vertragsstrafe höher ist, als der Ihrem Unternehmen tatsächlich entstandene Schaden. Denn der Vorteil und Zweck der Vertragsstrafe ist gerade, dass Sie als Auftraggeber einen konkreten Schaden nicht darlegen müssen. Allerdings kann die Geltendmachung der Vertragsstrafe dann unwirksam sein, wenn überhaupt kein Verzugsschaden entstanden ist. Als Auftraggeber werden Sie aber sicherlich immer zumindest einen kleinen Schaden “auffinden” können! Ist der Ihrem Unternehmen tatsächlich entstandene Schaden höher als die vereinbarte Vertragsstrafe, so brauchen Sie sich nicht mit der Geltendmachung der Vertragsstrafe begnügen, sondern können Ihren gesamten Schaden geltend machen. Aus Sicherheitsgründen sollten Sie dies in Ihre Vertragsstraferegelung mit aufnehmen, damit Sie nicht das Risiko eingehen, dass ein Gericht möglicherweise die Vertragsstraferegelung dahingehend auslegt, dass Sie sich mit der Bezahlung der Vertragsstrafe begnügen. Soweit in einer Vertragsstrafeklausel auf die Möglichkeit der Geltendmachung weitergehender Schäden verwiesen wird, muss sich allerdings aus der Formulierung eindeutig ergeben, dass auf diese Schäden die ggf. verwirkte Vertragsstrafe angerechnet wird.
Vertragsstrafe entfällt bei unterlassener Vorbehaltserklärung!
§ 341 Absatz 3 BGB enthält eine Regelung, deren Nichtbeachtung für Sie gravierende Folgen haben kann: “Nimmt der Gläubiger die Erfüllung an, so kann er die Strafe nur verlangen, wenn er sich das Recht dazu bei der Annahme vorbehält.” Die beste Vertragsstrafe hilft dem Auftraggeber nichts, wenn er sie sich bei der Annahme der Lieferung bzw. Abnahme der Leistung nicht ausdrücklich vorbehalten hat. Der Auftraggeber muss bei der Abnahme möglichst wörtlich erklären, dass “er sich die Geltendmachung der Vertragsstrafe vorbehält”. Bei der förmlichen Abnahme sollte diese Erklärung unbedingt im Abnahmeprotokoll enthalten sein!!
Tipp: Generell sollten Sie den Vorbehalt schriftlich erklären. Außerdem sollten Sie sich den Zugang der Vorbehaltserklärung immer schriftlich bestätigen lassen, um im Streitfall einen Beweis für die Vorbehaltserklärung in der Hand zu haben. Überprüfen Sie Ihre vorgefertigten Abnahmeprotokolle dahingehend, ob darin eine Vorbehaltserklärung hinsichtlich der Vertragsstrafeansprüche enthalten ist. Eine solche Erklärung könnte z.B. wie folgt lauten: „Wir behalten uns die Geltendmachung von Vertragsstrafeansprüchen vor“. Diese Erklärung kann vorformuliert abgegeben werden (BGH, Urteil vom 25.09.1986 – VII ZR 276/84)
Das Erfordernis der Vorbehaltserklärung lässt sich vertraglich allenfalls als Individualvereinbarung ausschließen. Stellt die vertragliche Regelung eine Allgemeine Geschäftsbedingung dar, ist ein solcher Ausschluss unwirksam. (BGH, Urteil vom 23.01.2003, VII ZR 210/01, BauR 2003,870,874)
Tipp: Allerdings ist eine vertragliche Regelung, wonach die Vorbehaltserklärung noch bis zur Schlusszahlung geltend gemacht werden kann, von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes auch als Allgemeine Geschäftsbedingung anerkannt worden. Diese Rechtsprechung erging allerdings bisher nur zu Bauverträgen. Ob der Bundesgerichtshof eine solche vertragliche Regelung auch für Kaufverträge als wirksam anerkennt ist noch offen.
Formulierungsvorschlag für eine Vertragsstrafe bezogen auf den Endtermin:
„Im Falle des Lieferverzuges des Auftragnehmers ist der Besteller berechtigt, eine Vertragsstrafe von 0,2% der Nettoauftragssumme pro Kalendertag des Verzuges, höchstens 5% der Nettoauftragssumme zu verlangen. Weitergehende gesetzliche Ansprüche bleiben vorbehalten; bei deren Geltendmachung wird eine gegebenenfalls verwirkte Vertragsstrafe auf den geltend gemachten Schaden angerechnet. Die Geltendmachung der Vertragsstrafe braucht sich der Auftraggeber noch nicht bei der Abnahme vorzubehalten. Er kann sie vielmehr bis zur Schlusszahlung geltend machen.“
Formulierungsvorschlag für eine Vertragsstrafe bezogen auch auf Zwischentermine:
1)Gerät der Auftragnehmer durch Überschreitung des vereinbarten Fertigstellungstermins in Verzug, so verpflichten er sich, für jeden Kalendertag des Verzuges 0,2 % der Nettoauftragssumme zu zahlen, höchstens jedoch 5% der Nettoauftragssumme.
2)Gerät der Auftragnehmer durch Überschreitung der vertraglich vereinbarten Zwischenfristen in Verzug, so verpflichten er sich, für jeden Kalendertag des Verzuges 0,2% des auf die Teilleistungen, auf die sich die jeweilige Zwischenfrist bezieht, entfallenden Anteils an der Nettoauftragssumme zu zahlen, höchstens jedoch 5 % der Nettoauftragssumme. Auf vorangehende Zwischenfristen verwirkte Vertragsstrafen werden bei Überschreitungen oder Verzügen auch der nachfolgenden Zwischenfristen berücksichtigt, so dass eine Kumulierung der Einzelvertragsstrafen ausgeschlossen ist.
3)Die maximal in Betracht kommenden Vertragsstrafen dürfen insgesamt 5 % der Nettoauftragssumme nicht übersteigen.
4)Die Geltendmachung der Vertragsstrafe braucht sich der Auftraggeber noch nicht bei der Abnahme vorzubehalten. Er kann sie vielmehr bis zur Schlusszahlung geltend machen.
5)Weitergehende gesetzliche Ansprüche bleiben vorbehalten; bei deren Geltendmachung wird eine gegebenenfalls verwirkte Vertragsstrafe auf den geltend gemachten Schaden angerechnet.
Vorsicht: Bei erheblicher Verschiebung des Termins kann die Vertragsstrafe entfallen!
Nach einem Urteil des BGH vom 30.03.2006 (VII ZR 44/05, IBR 2006, 387) muss jeweils im Einzelfall entschieden werden, ob die Vertragsparteien mit der Verschiebung eines ursprünglich vereinbarten Fertigstellungstermins auch die Vertragsstrafenregelung auf den neuen Termin erstreckt haben. Ist allerdings eine Vertragsstrafe terminsneutral formuliert, so spricht es nach Auffassung des BGH dafür, dass bei Verschiebung des Fertigstellungstermins auch dieser durch die Vertragsstrafe abgesichert werden soll.
Tipp: Formulieren Sie die Vertragsstraferegelung terminsneutral, in dem Sie diese lediglich an den Fertigstellungstermin koppeln ohne den konkreten Fertigstellungstermin selbst in der Vertragsstraferegelung zu nennen.
Sicherheitshalber sollten Sie jedoch bei jeder Terminsverschiebung vereinbaren, dass die vereinbarte Vertragsstrafe für den neu vereinbarten Termin gilt!
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