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Rückgewähr mangelhafter Sachen

20. August 2006

Die Frage ist höchst brisant: Sie haben ein Produkt eingekauft und stellen ein Jahr nach Lieferung des Produktes fest, dass dieses mangelhaft ist. Entsprechend Ihren gesetzlichen Ansprüchen (§§ 437, 439 BGB) verlangen Sie von Ihrem Lieferant Ersatzlieferung, d.h. die Lieferung eines neuen Produktes gegen Rückgabe des mangelhaften Produktes. Ihr Lieferant erklärt sich hierzu auch bereit, verlangt aber für die 1-jährige Nutzung des mangelhaften Produktes eine Nutzungsentschädigung. Müssen Sie diese zahlen?

Das Gesetz ist „eigentlich!“ eindeutig: § 439 Absatz 4 BGB verweist hinsichtlich der Rückgewähr der mangelhaften Sache auf die §§ 346 bis 348 BGB und § 346 Absatz 1 BGB wiederum regelt, dass die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben sind. Nach dem Wortlaut des Gesetzes müssten Sie als Einkäufer also eine Nutzungsentschädigung für das mangelhafte zurückgewährte Produkt bezahlen.

So sah es auch ein Versandhandelsunternehmen in einem Fall wie er alltäglicher nicht sein könnte: Eine Käuferin hatte für ihren privaten Bedarf ein „Herd-Set“ zum Preis von € 534,90 gekauft. 1 ½ Jahre nach Lieferung stellte die Käuferin fest, dass sich die Emailleschicht im Backofen gelöst hatte. Sie verlangte von dem Versandhandelsunternehmen die Lieferung eines neuen Backofens, woraufhin das Unternehmen zwar umgehend einen neuen Backofen lieferte, jedoch für die Nutzung des ursprünglich gelieferten Backofens eine Entschädigung in Höhe von € 69,97 verlangte. Die Käuferin zahlte zwar diesen Betrag, doch ein Verbraucherverband wollte diese Frage endgültig klären lassen und verklagte das Versandhandelsunternehmen auf Rückzahlung der € 69,97 an die Käuferin und außerdem, es zukünftig zu unterlassen, im Falle von Ersatzlieferungen Nutzungsentschädigung zu verlangen.

Die Vorinstanzen gaben der Käuferseite Recht!
Landgericht und Oberlandesgericht Nürnberg ignorierten mehr oder weniger den Wortlaut des Gesetzes und nahmen folgende „wertende Betrachtung“ vor: Die Rechtslage bei Rücktritt und Ersatzlieferung sei nicht zu vergleichen und anders als beim Rücktritt sei es bei der Ersatzlieferung nicht gerechtfertigt, dem Käufer eine Nutzungsentschädigung aufzuerlegen.

Der BGH sieht sich an Recht und Gesetz gebunden!
Nunmehr hatte der Bundesgerichtshof den Fall vorliegen. Auch wenn der Bundesgerichtshof die Bedenken der Vorinstanzen gegen eine Nutzungsentschädigung teilte, verwies er mit Recht auf die bereits im Grundgesetz verankerte Bindung der Rechtsprechung an Recht und Gesetz. Diese Bindung lasse eine korrigierende Auslegung, die sich in Widerspruch zum ausdrücklichen Wortlaut und Willen des Gesetzgebers setze nicht zu.

Verstoß des Gesetzes gegen EU-Richtlinie?
Allerdings hat der Bundesgerichtshof Zweifel, ob die gesetzliche Vorschrift des § 439 Absatz 4 in Verbindung mit § 346 Absatz 1 BGB mit der europäischen Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie (Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.05.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantie für Verbrauchsgüter) im Einklang steht. Diese Richtlinie sieht in Art. 3 Absatz 2 bis 4 vor, dass die Herstellung des vertragsgemäßen Zustandes (also auch die Ersatzlieferung) für den Verbraucher unentgeltlich sein und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher erfolgen muss. Dies legt den Schluss nahe, dass dem Verbraucher nach dieser EU-Richtlinie gerade keine Nutzungsentschädigung auferlegt werden sollte. Nun ist jedoch die Auslegung einer europäischen Richtlinie nicht Sache des Bundesgerichtshofs sondern Aufgabe des Europäischen Gerichtshofs. Aus diesem Grunde hat der Bundesgerichtshof den Rechtsstreit ausgesetzt und die Frage, ob Artikel 3 Abs. 2-4 der Richtlinie dahingehend auszulegen ist, dass der Verbraucher im Falle der Ersatzlieferung keine Nutzungsentschädigung schuldet, dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Was bedeutet die Entscheidung für Sie als Einkäufer?
Die erhoffte endgültige Klärung der Rechtslage durch den Bundesgerichtshof ist ausgeblieben und wir dürfen weiter mit Spannung erwarten, wie der Europäische Gerichtshof entscheidet. Andererseits wäre die Entscheidung des Bundesgerichtshofes nach der eindeutigen Gesetzeslage wohl nicht käuferfreundlich ausgegangen, wenn er den Fall ohne Vorlage an den Europäischen Gerichtshof entschieden hätte. So bleibt die Hoffnung, dass der europäische Gerichtshof verbraucherfreundlich entscheidet und der Bundesgerichtshof anschließend das Gesetz richtlinienkonform zugunsten des Käufers auslegt, vielleicht mit der Begründung, dass der generelle Wille des Gesetzgebers, die EU-Richtlinie richtig umzusetzen, dem Wortlaut des Gesetzes und dem hierzu geäußertem Willen des Gesetzgebers vorgeht.

Auswirkungen im B2B-Bereich?
Zurückkommend auf den Eingangsfall stellt sich die Frage, wie sich die Entscheidung des Bundesgerichtshofs auf den Einkauf für Ihr Unternehmen, also im B2B-Bereich auswirkt. Hier wird es erst richtig kompliziert: Die EU-Richtlinie dient nur zum Schutz des Verbrauchers, der zu privaten Zwecken bei einem Unternehmen einkauft. Eine richtlinienkonforme Auslegung käme also erst einmal nur dem Verbraucher zu gute. Doch stellt sich dann gleich anschließend die Frage, ob der Gesetzgeber wollte, dass ein und dasselbe Gesetz im Falle des Verbrauchsgüterkaufs anders ausgelegt wird als beim Kaufvertrag zwischen Unternehmen. Hätte der Gesetzgeber hier eine Unterscheidung gewollt, hätte er dies wohl wie bei den sonstigen Sonderregelungen zum Verbrauchsgüterkauf (§§ 474 ff. BGB) klargestellt. Dies könnten Sie einem möglicherweise von Seiten Ihres Lieferanten geltend gemachten Anspruch auf Nutzungsentschädigung jedenfalls entgegenhalten.

Leider muss der Bundesgerichtshof zum B2B-Bereich keine Entscheidung treffen, weil sich der „Backofen-Fall“ nur im Bereich des Verbrauchsgüterkaufs abspielte. Aber vielleicht lässt sich der Bundesgerichtshof im Hinblick auf die Bedeutung der Sache zu einem Hinweis auf den B2B-Bereich hinreißen. Vielleicht fühlt sich ja auch der Gesetzgeber angesichts einer entsprechenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs veranlasst, eine Gesetzesänderung vorzunehmen. Wir dürfen gespannt sein!

Fundstelle: BGH, Beschluss vom 16.08.2006 – VIII ZR 200/05, abzurufen unter www.bundesgerichtshof.de unter „Entscheidungen“ und dem genannten Aktenzeichen