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Und es gibt sie doch noch, die Individualvereinbarung…

15. Juni 2011

…wenn auch selten! Das Urteil des OLG Hamburg vom 12.12.2008 (Aktenzeichen 1 U 143/07, veröffentlicht in der IBR 2010, S. 254 f.) gehört zu den wenigen Entscheidungen, in denen ein Gericht das Vorliegen einer Individualvereinbarung bejaht hat. Mit Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den Bundesgerichtshof vom 04.03.2010 ist die Entscheidung des OLG Hamburg auch rechtskräftig geworden.

Hier die Leitsätze des OLG Hamburg, welche gleichzeitig wertvolle Hinweise für die Vertragsgestaltung geben:

  1. Der Anschein der Mehrfachverwendungsabsicht (und damit der Anschein für das Vorliegen von AGB) kann widerlegt sein, wenn
    a) in dem genannten Vertrag stets die Parteibezeichnung genannt ist und nicht vom Auftraggeber die Rede ist,
    b) die vertraglichen Regelungen über die Organisation der Projektdurchführung auf die konkrete Situation abgestimmt sind,
    c) das Gesamtklauselwerk nicht einseitig den Vertragspartner belastet,
    d) den vertraglichen Regelungen anzumerken ist, dass sich in weiten Bereichen teilweise die eine Partei durchsetzen konnte, in anderen Bereichen die andere.

  2. Die Tatsache, dass im Rahmen eines Projekts Klauseln in drei getrennten Verträgen verwendet werden, begründet keine Mehrfachverwendungsabsicht.

  3. Ursprünglich individuell ausgehandelte Klauseln reichen bei einem erneuten Vertragsschluss dann nicht für die Bejahung einer Individualabrede aus, wenn sie inhaltlich unverändert ohne Weiteres übernommen werden.

Sachverhalt:

Die Betreiberin einer Erdölraffinerie hatte eine Anlagenbauerin damit beauftragt, eine Isomerationsanlage zu errichten. Im Vertrag war die Haftung der Anlagenbauerin für entgangenen Gewinn ausgeschlossen. Später beauftragte die Betreiberin der Erdölraffinerie die Anlagenbauerin mit der Errichtung einer Entschwefelungs-, einer Entaromatisierungsanlage sowie eines sog. Steam-Reformers. Diese neuen Verträge wurden auf der Basis des ersten Vertrages (Isomerationsanlage) verhandelt und enthielten einen mit der Formulierung im ersten Vertrag wortgleichen Haftungsausschluss. Die Anlagenbauerin geriet mit der Erstellung der neuen Anlagenbauteile in Verzug und die Betreiberin machte Schadensersatz wegen entgangenen Gewinns infolge verspätet gestarteter Produktion in Höhe von 20 Mio. Euro geltend.

Entscheidung des OLG Hamburg:

Das OLG Hamburg wies die Klage mit der Begründung ab, die Haftung der Anlagenbauerin sei wirksam ausgeschlossen worden. Bei dem Haftungsausschluss handele es sich nicht um eine AGB. Eine Mehrverwendungsabsicht ergebe sich weder aus dem äußeren Anschein der Regelung noch habe die Betreiberin eine mindestens dreimalige Verwendung der Regelung nachweisen können. Der erste Anschein spreche hier vor allem deshalb nicht für eine AGB, weil der Vertrag auf das konkrete Projekt abgestimmt gewesen sei. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass die Vertragsparteien jeweils namentlich genannt worden waren und zwar auch in der Regelung über den Haftungsausschluss. Zum anderen seien die organisatorischen Regelungen auf die konkreten Projekte abgestimmt worden und außerdem enthalte der Vertrag auch Regelungen, welche die Anlagenbetreiberin belasteten.
Außerdem konnte die Anlagenbetreiberin anhand einer Verhandlungsnotiz nachweisen, dass sich die Vertragsparteien im Wege der Individualvereinbarung auf die Übernahme der Formulierung zum Haftungsausschluss aus dem vergangenen Vertrag geeinigt hatten. Dabei berücksichtigte das OLG auch, dass zwischen den Parteien kein Machtgefälle bestand, infolgedessen die Anlagenbauerin die Betreiberin hätte dazu zwingen können, den Haftungsausschluss zu akzeptieren.

Praxishinweis:

Zu Recht wird in der Praxis immer wieder gerügt, die Rechtsprechung stelle zu hohe Anforderungen an das Vorliegen einer Individualvereinbarung und schränke dadurch die Vertragsfreiheit zu sehr ein. Insofern ist die Entscheidung des OLG Hamburg zu begrüßen. Der Nachweis der Individualvereinbarung ist der Anlagenbetreiberin allerdings nur dadurch gelungen, dass sie die Vertragsverhandlungen genau dokumentiert hatte und deshalb auch das Aushandeln der streitgegenständlichen Haftungsausschlussklausel nachweisen konnte. Es empfiehlt sich deshalb dringend, nicht nur das „Endprodukt“ des Vertrages aufzubewahren, sondern auch die Verhandlung im Vorfeld zu dokumentieren!