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Strenge Anforderungen der Rechtsprechung an die Wareneingangsprüfung!

17. Januar 2011

Hintergrund:

Nach § 377 Absatz 1 Handelsgesetzbuch (HGB) hat der Käufer die Ware unverzüglich (d.h. ohne schuldhaftes Zögern) nach Ablieferung zu untersuchen und sofern er Mängel oder Fehlmengen feststellt, diese unverzüglich dem Verkäufer anzuzeigen. Unterbleibt eine sol-che unverzügliche Untersuchung und Rüge gilt die Ware als genehmigt und der Käufer verliert sämtliche Mängelansprüche!!

Zu dieser nicht gerade praxisnahen, aber im Hinblick auf die gravierenden Rechtsfolgen ausgesprochen praxisrelevanten Regelung fällte das Oberlandesgericht Hamm mit Urteil vom 25.06.2010 (IBR 2010, 568) eine interessante, wenn auch nicht käuferfreundliche Entscheidung:

Sachverhalt:

Im Rahmen eines Kaufvertrages über die Lieferung von Stahl wurde vereinbart, dass der Kohlenstoffgehalt des Stahls allenfalls 0,05% beträgt. Außerdem vereinbarten die Parteien, dass der Verkäufer bei Lieferung des Stahls ein Werkszeugnis über die chemische Stahlgüte vorzulegen habe. Bei Lieferung des Stahls legte der Lieferant dem Käufer das geschuldete Werkszeugnis auch vor. In diesem hieß es wörtlich: „Es wird bestätigt, dass die Lieferung den Anforderungen der Lieferbedingung entspricht.“ Darauf verließ sich der Käufer zunächst. Erst 6 Monate später nahm der Käufer selbst eine chemische Prüfung des Stahls vor. Dabei stellte sich heraus, dass der Kohlenstoffgehalt des gelieferten Stahls über den vereinbarten 0,05% lag. Nachdem der Käufer diesen Mangel gerügt und erfolglos Nacherfüllung verlangt hatte, machte er Schadensersatz geltend.

Entscheidung des OLG Hamm:

Der Käufer hatte mit seiner Schadensersatzklage weder vor dem Landgericht noch vor dem OLG Hamm Erfolg.
Nach Auffassung des OLG galt wegen der verspäteten Mängelrüge die Ware nach § 377 HGB als genehmigt. Bei dem Kohlenstoffgehalt im Stahl handele es sich um einen offenen Mangel, der unverzüglich nach Wareneingang hätte gerügt werden müssen. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH liege ein offener Mangel im Sinne des § 377 HGB vor, wenn er entweder bei der Ablieferung offen zutage tritt – was hinsichtlich der chemischen Zusammensetzung nicht der Fall sei – oder bei einer sachgemäß durchgeführten Untersuchung alsbald nach Ablieferung hätte festgestellt werden können. Letzteres bejahte das OLG Hamm.

Untersuchung auch nötig hinsichtlich der Eigenschaften, die durch ein Werkszeugnis des Lieferanten bestätigt wurden!

Nach Ansicht des OLG Hamm kann In der Vereinbarung des mitzuliefernden Werkszeugnisses kein Verzicht auf die Wareneingangsuntersuchung hinsichtlich der Stahlgüte gesehen werden. Der Käufer dürfe sich nicht unbesehen auf Verkäuferangaben zum chemischen Anteil eines bestimmten Elements verlassen, wenn gerade dieser -wie auch hier- zentrale Bedeutung und negative Auswirkung für die vorgesehene Verarbeitbarkeit habe.

Generelle Anforderungen an die Wareneingangsprüfung:

Welche Anforderungen an den Umfang der Untersuchung zu stellen sind, insbesondere ob und unter welchen Voraussetzungen von einem Käufer die Durchführung einer chemischen Analyse verlangt werden kann, lässt sich nach Auffassung des OLG Hamm nicht allgemein gültig festlegen. Bei der Beurteilung seien nicht die persönlichen Verhältnisse des Käufers und seine Anschauungen maßgebend. Vielmehr komme es auf die allgemeine Verkehrsanschauung an, wie sie sich in der Branche in Betrieben vergleichbarer Art gebildet hat. Das durch § 377 HGB geschützte Interesse des Verkäufers an einer alsbaldigen sorgfältigen Untersuchung durch den Käufer sei dann besonders groß, wenn er bei bestimmungsgemäßer Weiterverarbeitung der Kaufsache mit hohen Schäden rechnen müsse, was hier der Fall sei. Auf Seiten des Käufers seien die Kosten und Zeitaufwand für die Untersuchung, das Erfordernis eigener technischer Kenntnisse für ihre Durchführung und die Notwendigkeit, besondere technische Vorkehrungen für sie zu treffen oder die Untersuchung durch Dritte vornehmen zu lassen, zu berücksichtigen. Im konkreten Fall sei die Durchführung einer gemäß Sachverständigengutachten jeweils nur Kosten von 50 € verursachenden und binnen 24 Stunden bei einem Fremdlabor zu beschaffenden Analyse für den Käufer eher zumutbar als die Hinnahme der drohenden Folgeschäden für den Verkäufer.

Welche Untersuchungen sind in der jeweiligen Branche üblich?

Letztendlich stellte das OLG Hamm entscheidend darauf ab, welche Untersuchungen in der Branche in Betrieben vergleichbarer Art üblicherweise vorgenommen werden. Zu dieser Frage vernahm das OLG Hamm einen Sachverständigen, der erklärte, dass eine eigene Untersuchung durch den Käufer in der Stahlbranche auch dann üblich sei, wenn er über das Werkstoffprüfzeugnis des Verkäufers verfüge. Dem folgte das OLG Hamm und wies den Anspruch des Käufers zurück.

Fazit:

Die Entscheidung des OLG Hamm zeigt zum einen mal wieder, wie gravierend die Folgen unterlassener Wareneingangskontrollen sein können. Zum anderen macht sie aber auch deutlich, dass die Anforderungen an den Umfang der Wareneingangsuntersuchung nicht zu unterschätzen sind. Sichtkontrollen oder nur oberflächliche Untersuchung reichen nicht. Vielmehr hat der Käufer die Ware auch durch technische oder chemische Überprüfungen auf ihre vertragsgemäße Beschaffenheit zu untersuchen, selbst wenn solche Untersuchungen für den Käufer aufwendig sind. Ausschlaggebend ist dabei die Branchenüblichkeit und über die entscheidet in der Regel – wie auch in diesem Fall – letztendlich ein Gutachter.

Praxistipp:

Um die für Sie unerfreuliche Rechtsfolge des §377 HGB zu vermeiden, empfiehlt es sich, bereits bei Vertragsabschluss die Weichen richtig zu stellen und die Untersuchungs- und Rügepflicht des § 377 HGB auszuschließen oder auf eine reine Sichtkontrolle zu beschränken. Dies ist jedoch als Allgemeine Geschäftsbedingung unwirksam und kann wirksam deshalb nur im Wege einer Individualvereinbarung geschehen. Eine Individualvereinbarung liegt allerdings nur dann vor, wenn Sie den Ausschluss der Wareneingangskontrolle wirklich individuell formulieren und diese Formulierung auch nicht mehrfach wieder verwenden oder Sie die Regelung mit dem Lieferanten ausgehandelt haben (was Sie beweisen müssen). Eine andere Möglichkeit besteht darin, den Lieferanten den Ausschluss der Wareneingangskontrolle selbst in sein Angebot formulieren zu lassen. Alle drei Möglichkeiten sind sicherlich nicht einfach zu bewerkstelligen und alles andere als praxisnah. Andererseits kann der vollständige Verlust sämtlicher Mängelansprüche erhebliche Kostenfolgen nach sich ziehen, wie das Urteil des OLG Hamm zeigt.

In der Praxis berufen sich Lieferanten relativ selten auf § 377 HGB, zumindest wenn es „lediglich“ um Nachbesserung oder Ersatzlieferung geht. Werden allerdings von Seiten des Einkäufers hohe Folgeschäden geltend gemacht wird die „Jokerkarte“ des § 377 HGB erfahrungsgemäß dann doch aus dem juristischen Ärmel geschüttelt, insbesondere wenn der Lieferant seine Versicherung einschaltet und deren Juristen den Fall in die Hände bekommen.

Im konkreten Fall hätte es dem Käufer auch geholfen, wenn er vom Lieferanten des Stahls nicht nur ein Werkzeugnis über die chemische Stahlgüte gefordert hätte, sondern sich die chemische Zusammensetzung ausdrücklich schriftlich in Form eines selbstständigen Garantieversprechens hätte garantieren lassen, denn für selbständige Garantieverträge gilt § 377 HGB nicht.