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„Pacta sunt servanda“ – Können Sie sich darauf noch verlassen?

26. Juli 2019

Die Vertragstreue ist eines der wichtigsten Prinzipien des Zivilrechts. Doch angesichts der immer strenger werdenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum AGB-Recht wird der Grundsatz „Verträge sind zu halten“ zunehmend verwässert.
Dass man sich auf das „Kleingedruckte“, wie beispielsweise Ihre Einkaufsbedingungen oder die Verkaufsbedingungen Ihres Lieferanten nicht hundertprozentig verlassen kann, hat sich inzwischen in der Praxis herumgesprochen. Doch dass auch Regelungen aus Rahmenverträgen oder Großprojektverträgen, die von beiden Vertragspartnern eigenhändig unterschrieben worden sind, im Streitfall plötzlich unwirksam sein sollen, überrascht sogar manch „alte Hasen“ der Einkaufspraxis.
Dies hängt meist damit zusammen, dass Praktiker bei solchen Verträgen von Individualvereinbarungen ausgehen und damit erst gar nicht auf die Idee kommen, dass einzelne Regelungen ihres Vertrages der AGB-Kontrolle zum Opfer fallen könnten.
Tatsächlich können sich die Vertragsparteien bei Individualvereinbarungen in der Regel auch auf deren Geltung im Streitfall verlassen, es sei denn, diese Vereinbarung ist sittenwidrig (zum Beispiel wegen Wucher, Ausnutzung einer Zwangslage oder sonstiger „verwerflicher Gesinnung“) oder verstoßen gegen zwingende Gesetze (zum Beispiel gegen Strafgesetze oder Regelungen aus dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, GWB). Dies ist allerdings eine Grenze, die in Verträgen sehr selten überschritten wird. Jedenfalls ist diese Grenze lange nicht so schnell erreicht wie die AGB-rechtliche Grenze der unangemessenen Benachteiligung.

Beispiel:
Sie kaufen eine hochwertige Anlage ein und wollen für den Fall des Lieferverzugs eine Vertragsstrafe mit einer Höchstgrenze von 10 % vereinbaren. Als Individualvereinbarung wäre dies wirksam, als Allgemeine Geschäftsbedingung wäre die gesamte Vertragsstraferegelung unwirksam, da die Vereinbarung einer Höchstgrenze von über 5% nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine unangemessene Benachteiligung darstellt.

Deshalb wäre für Sie in diesem Fall die Frage entscheidend, ob es sich bei der entsprechenden Regelung in Ihrem Anlageneinkaufsvertrag um eine AGB oder eine Individualvereinbarung handelt.

Was fällt alles unter „AGB“ im Sinne des Gesetzes?

Da die in Rahmenverträgen, Anlageneinkaufs- oder sonstigen Projetverträgen enthaltenen Regelungen meist spezieller auf das konkrete Produkt bzw. konkrete Projekt zugeschnitten sind, liegt die Vermutung erst einmal nahe, dass es sich hierbei um Individualvereinbarungen handelt. Dass dieser erste Anschein trügt, wird klar, wenn man sich die Definition von Allgemeinen Geschäftsbedingungen in § 305 BGB betrachtet.

Definition AGB:


Es handelt sich um eine Vertragsbedingung, die vorformuliert ist, für eine Vielzahl von Verträgen verwendet wird und von einer Seite der anderen Seite bei Vertragsabschluss gestellt worden ist.

Wie das Erfordernis der „Vielzahl von Verträgen“ auszulegen ist, hat der Bundesgerichtshof schon vor langer Zeit entschieden und er war bei seiner Auslegung nicht gerade großzügig: Zwei Mal dürfen Sie eine Formulierung verwenden. Ab dem dritten Mal aber ist sie schon eine AGB. Es genügt sogar schon die erstmalige Verwendung einer Formulierung, wenn der Verwender schon zu diesem Zeitpunkt die Absicht hatte, die von ihm formulierte Klausel mehrfach wiederzuverwenden.

„Von einer Seite der anderen Seite gestellt“ bedeutet lediglich, dass ein Vertragspartner, der sogenannte Verwender, seine Vertragsbedingungen dem anderen Vertragspartner bei Vertragsabschluss vorlegt. Hierzu hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Voraussetzung des „Stellens“ sogar dann gegeben ist, wenn eine Vertragspartei der anderen Seite einen Vertragsentwurf mit den Worten übersendet: „Falls Sie Anmerkungen oder Änderungswünsche haben, lassen Sie uns dies bitte wissen.“ Denn dies öffne dem Vertragspartner noch lange nicht die tatsächliche Gelegenheit, alternativ eigene Textvorschläge mit der effektiven Möglichkeit ihrer Durchsetzung in die Verhandlung einzubringen (Urteil vom 20.01.2016, Aktenzeichen VIII ZR 26/15).

Die dargelegte Begriffsbestimmung von AGB zeigt, dass vertragliche Vereinbarungen sehr schnell AGB-rechtlichen Charakter haben. Sämtliche Standardverträge, Textbausteine, auch vorgefertigte Verhandlungsprotokolle unterfallen dieser Definition. Dies gilt auch für die Regelungen aus Ihren Rahmenverträgen und Projektverträgen, denn auch hier haben Sie es meist mit Formulierungen zu tun, die mehr als zweimal verwendet werden. Auch Regelungen, die Sie sich selbst ausgedacht haben sind AGB, wenn Sie diese in mehr als zwei Verträgen verwenden!
Wenn Sie allerdings einzelne Regelungen „ausgehandelt“ haben, werden diese zu Individualvereinbarungen.

Doch was meint der Gesetzgeber mit „aushandeln“? Lesen Sie hierzu die Fortsetzung im nächsten Artikel!